Die Kunsthalle Luzern lädt zu einer Ausstellung, in der sich alles um den wohl prominentesten Nachbar dreht: Das Löwendenkmal. Im Zentrum von «We Are The Lion / Das Löwendenkmal sind wir» steht aber nicht einfach der Löwe, sondern diejenigen, die den Löwen respektive das Luzerner Wahrzeichen betrachten.
«Tourist Invaders». Leuchtgrün auf schwarz prangen diese Lettern auf einem Bildschirm der Löwendenkmal-Installation in der Kunsthalle. Auf fünf mal fünf Boxen sind ebenso viele facettenreiche Zugänge zu einem der beliebtesten Denkmäler der Schweiz geschaffen. «Tourist Invader» orientiert sich grafisch am Weltraum-Video-Ballerspiel «Space Invaders» aus dem Jahre 1978. Beim im Demo-Modus laufenden «Tourist Invaders» wird jede Menge Munition verbraucht, der Weltraumkugelhagel dürfte auf die Anzahl Touristen anspielen – laut Programmheft schossen die jährlich 1,4 Millionen Löwendenkmal-Besucher in den letzten zehn Jahren rund 50 Millionen Bilder – die unablässig die Auslöser ihrer Kameras betätigen. Gleichzeitig schiesst aber der Löwe zurück, möglicherweise eine Anspielung darauf, dass jeder Besucher beim Betrachten des Denkmals zu einer Reflektion angeregt ist; eine andere Deutung wäre den Touristen gegenüber eher unhöflich … Jede der 25 Boxen der Gesamtstruktur bietet eine eigene Trouvaille, die sich entdecken lässt. Das Gesamtkunstwerk wurde von der Krienser Kunst-Gemeinschaft «LABOR Luzern» errichtet und heisst «Lion Lab». Im Gesamtbild ist beispielsweise auszumachen, wie das Herz des Löwen schwach aber dennoch konstant schlägt.
Ein aussergewöhnliches Experiment
Das Löwendenkmal und die Kunsthalle Luzern leben seit Jahrzehnten Tür an Tür. Dass sich nun eine Ausstellungsreihe dem prominenten Bildnis der Lichterstadt widmet, kommt dennoch nicht von ungefähr. «Es ist keine Verlegenheitslösung», bilanziert Peter Fischer, Projektleiter und Kurator von L21. Im Gegenteil. «Eigentlich befasst sich die Kunsthalle normalerweise mit zeitgenössischer Kunst. Aber vor vier Jahren bemerkten die Verantwortlichen, dass das Denkmal bald einmal sein 200-jähriges Jubiläum feiern kann.»
Deshalb greift die Kunsthalle ausnahmsweise etwas auf, das so naheliegt. «Es ist ein grosses Experiment und mich interessierte es, da mitzumachen, weil das Projekt sich nicht auf den Ausstellungsraum beschränkt, sondern sich auch direkt vor Ort exponiert und sowohl die Bevölkerung wie die Touristen einbezieht.» Verschiedene Inszenierungen geschehen denn auch beim Denkmal selbst – mehrere davon sind in der Kunsthalle auf Video zu sehen.
Aller guten Dinge sind vier
L21 ist ein breit angelegtes Kulturprojekt, das sich mit vielen Veranstaltungen über vier Jahre und vier Ausstellungen erstreckt. Die erste namens «Löwen Safari» war 2018 zu betrachten, die weiteren folgen in den beiden kommenden Jahren und schliessen damit das eigentliche Jubiläum am 10. August 2021 mit ein.
Das Vorhaben richtet sich eher an die Einheimischen. «Vielleicht wissen die Luzerner schon gar nicht mehr warum es da ist», analysiert Peter Fischer, der zehn Jahre Direktor des Kunstmuseums Luzern war und anschliessend mehrere Jahre als Direktor des Zentrums Paul Klee in Bern amtete. «Andererseits zieht es Millionen Touristen aus aller Welt hierher. Das ist etwas sehr Spezielles.» Hinzu komme auch das Spannungsfeld im Zusammenhang mit dem Tourismus. «Touristen sind unbestrittenermassen wichtig, da sind sich die Luzerner schon einig. Manche nervt es aber auch, weil sie in Massen anreisen, gleichsam hinter Masken zu stecken und unnahbar scheinen.» Ziel sei, dass sich die Luzerner durch das mehrjährige Projekt neu mit dem Denkmal identifizieren.
Unterwasser-Blick
Neben dem bereits erwähnten «LABOR Luzern» stellen vier weitere Künstler aus, Till Velten, Andrea Iten, Fernando Obieta und Heidi Hostettler, die packende Unterwasseraufnahmen aus der Teichanlage mit Blick auf das Denkmal liefert. Weitere Aspekte und Einblicke dürften bei den beiden weiteren Ausstellungen in den kommenden beiden Jahren dazukommen, denn die Geschichte rund um das Denkmal ist vielschichtig. «Historiker Jürg Stadelmann entdeckte in Paris den Friedhof, wo die umgekommenen Söldner begraben liegen.» Noch ist offen, was im kommenden Jahr wie vermittelt wird. «Aber beim Denkmal selbst sind nur drei Tafeln, die rudimentär die damaligen Geschehnisse dokumentieren», erklärt Peter Fischer. Dabei ereignete sich zur Zeit des Tuileriensturms, dem Höhepunkt der Französischen Revolution, Markantes für ganz Europa. «Auch in der Schweiz wurden dadurch Umwandlungen ausgelöst. Die Stadt Luzern verdankte damals seit Jahrhunderten einen grossen Teil des Einkommens und des Wohlstands dem Geld, das die Patrizierfamilien mit dem Söldnerwesen verdienten. Damit war danach Schluss. Das ist vielen wohl gar nicht mehr so bewusst. Es ist spannend, darüber nachzudenken.»
«Das Löwendenkmal sind wir»
Bereits jetzt ist klar, dass Peter Fischer zur Hälfte des Projekts die Leitung abgibt: Karin Mairitsch, Kunstvermittlerin und Künstlerin wird zusammen mit dem Luzerner Kulturmanager Urban Frye übernehmen. Einbezogen werden dürfte unter anderem das Wirken des dänischen Bildhauers Bertel Thorvaldsen, dessen Entwürfe schliesslich zum Monument umgesetzt wurden.
Der Titel der Ausstellung «Das Löwendenkmal sind wir» will ausdrücken, dass sich jeder und jede eigene Gedanken zum Denkmal spinnen soll und sich kritisch damit beschäftigen. «Es gibt verschiedene Wahrheiten. Alle, die es anschauen, kommen wieder auf andere Bedeutungen. Im Laufe der Geschichte wurden viele Besucher vom Ort berührt. Dies zeigt, dass es sehr individuell wirkt, jeder kann seine Geschichte selbst schreiben.»
Daniel Gerber
Überblick Veranstaltungen
In den kommenden Wochen warten mehrere Anlässe rund um die Ausstellung. So tritt beispielsweise die koreanische Sängerin Jenny Jaeeun Um gemeinsam mit Hans Willin aus Basel auf, sie verfasste eigens einen Löwendenkmal-Song, der gegenwärtig in der Ausstellung im Untergeschoss als Videoclip zu sehen ist.
Across Cultures. Ein Blick hinter die Fassade der Touristen in Luzern
Gesprächsrunde mit Hui-Zhu hu, Präsidentin Schweizerischer-Chinesischer Verbund für Kunst und Sport, Robert Casagrande, Luzerner Souvenirunternehmer, und Till Velten, Künstler. Moderation: Peter Fischer. Mit einer musikalischen Performance von Jenny Jaeeun Um, Korea (Gesang) und Hans Willin, Basel (Schnuuregiige).
Mittwoch, 6. November 2019
18.30 Uhr
Löwengebrüll
Eine Klangcollage vom «LABOR Luzern».
Freitag, 15. November 2019
16 bis 22 Uhr
Auf der Suche nach der verlorenen Löwin
Gespräch mit den Künstlerinnen Lisa Bärtschi, Brigitt Bürgi und Lilian Frei über ihre L21-Performances, moderiert von Peter Fischer.
Sonntag, 1. Dezember 2019
15 Uhr
Im Teich
Führung von Annick Bosson, Ko-Kuratorin, mit der ausstellenden Künstlerin Heidi Hostettler
Freitag, 6. Dezember 2019
18 Uhr
Das Löwendenkmal: verloren im www
Michael Sutter, Leiter Kunsthalle Luzern, im Gespräch mit dem ausstellenden Künstler Fernando Obieta
Samstag, 14. Dezember 2019
18 Uhr
Finissage
Epilog der Aktion «à table / Zu Tisch» von Andrea Iten mit grosser Bescherung vor dem «Löwenkissenmonument». Und als Ausklang: ein Abgesang auf den Löwen von Saadet Türköz Winterdrinks und weiteres.
Sonntag, 22. Dezember 2019
14 bis 17 Uhr
Standort:
Kunsthalle Luzern
Löwenplatz 11, 6002 Luzern
www.loewendenkmal21.ch